In einem Gemeinschaftsprojekt haben sich die Stadtwerke Georgsmarienhütte GmbH, die Stadtwerke Lengerich GmbH und die Strom- und Gasversorgung Versmold GmbH zur Einführung eines Energiedatenmanagementsystems (EDM) entschlossen, mit dem die Vertriebs- und Beschaffungstätigkeiten der Stadtwerke professionell abgebildet werden sollen. »Mit der gemeinsamen Implementierung eines EDM-Systems wollen wir Synergieeffekte nutzen. Dabei verstehen wir Synergieeffekte umfassend in den Bereichen Methoden und Konzepte, IT-Betrieb sowie Anwendungsbetrieb und Innovation«, so Torsten Köberlein, Projektleiter der Stadtwerke Georgsmarienhütte.
Die wichtigsten Rahmenbedingungen für die Beschaffungs- und Vertriebstätigkeit der Stadtwerke sind seit Jahren definiert und geben vor, mit welchen Produkten und in welchen Märkten die jeweils zuständigen Personen agieren dürfen. Deshalb basieren diese unternehmensinternen Vorgaben auf einer Risikoanalyse und einer fortlaufenden Bewertung der Risiken. Die Auslastung des Risikokapitals wird in einem angemessenen Reporting dem Controlling zur Verfügung gestellt. Dennoch gibt es weiterhin Aufgaben, die durch eine solche Systemeinführung dauerhaft mit einem hohen Automatisierungsgrad bedient werden müssen:
· Differenzierung der Profitbereiche Vertrieb und Beschaffung, um die Wertschöpfung sachgerecht messen zu können
· Segmentierung des Vertriebskundenportfolios, um Werthaltigkeitsanalysen vornehmen zu können und damit eine Vertriebssteuerung zu ermöglichen
· Vereinheitlichung der Datengrundlage im Vertriebs-EDM auf Basis des datenführenden Abrechnungssystems, so dass auch unterjährige Forecasts regelmäßig und mit hoher Genauigkeit zur Verfügung stehen
· Bedienung der vertrieblichen Marktkommunikationsprozesse sowie aktueller und künftiger Anforderungen aus den europäischen und deutschen Finanzmarktanforderungen (Remit, Emir usw.).
Außer der systemseitigen Implementierung eines Energiedatenmanagements für die Energiebeschaffung und den -vertrieb sollten im Projekt die betrieblichen vor- und nachgelagerten Prozesse beschrieben und etabliert werden.
»Nach unserer Einschätzung können grundsätzlich alle Hersteller von Vertriebs-EDM-Systemen die gestellten Anforderungen erfüllen. Die konkrete Herausforderung bei der Etablierung eines Vertriebs-EDM besteht darin, die gelebten Prozesse der Stadtwerke – also die Anforderungen an die Software – auch systemseitig umzusetzen und weitgehend zu automatisieren. An der konsequenten Umsetzung scheitern viele Projekte und in der Folge ist der dauerhafte Nutzen für die Stadtwerkeorganisation kaum spürbar«, so Norbert Thewes, Geschäftsführender Gesellschafter der Energiemarkt Beratungsgesellschaft mbH (emb). emb hat in der Einführungsphase die Projektleitung für die Stadtwerke übernommen und wirkt aktuell im Anwendungsbetrieb und Innovationsmanagement mit.
Aus den zentralen Fragen ergaben sich Projektziele, die im Rahmen der Durchführung erreicht werden mussten. So mussten im Angebotswesen für Sondervertragskunden einzelne Angebotskalkulationen unter Einbeziehung von Steuerungsvorgaben transparent vorliegen. Darüber hinaus sollte die Angebotslegung und -verfolgung bis hin zur Angebotsannahme mit einer automatisierten Übergabe der Mengen und Preise in die Beschaffung systemseitig so konfiguriert werden, dass eine hohe Prozesssicherheit geschaffen wird. Für das Vertriebscontrolling sollten Kosten, Erlöse und Deckungsbeiträge im EDM-System aus dem Angebotsannahmeprozess zur Verfügung stehen. Auch sollten diese Planzahlen für das SLP-Segment nach Tarifgruppen in einer höheren Aggregationsstufe auf Portfoliobuchebene geführt werden.
Auf der Beschaffungsseite war das Controlling der Risikovorgaben ein wichtiger Bestandteil der Zieldefinition. Die Ermittlung der Deckungsbeiträge auf der Beschaffungsseite ist dabei das Resultat aus der Gestaltung der Schnittstellen zwischen Vertrieb und Beschaffung und der Anwendung der abgestimmten Prozesse und Methoden.
Um den verantwortlichen Personen die Daten aus dem EDM-System in geeigneter Form und Frequenz zur Verfügung zu stellen, musste ein entsprechendes Berichtswesen mit einem hohen Automatisierungsgrad eingeführt werden. Sebastian Kirchmann, Projektleiter der Strom- und Gasversorgung Versmold GmbH, fasst die Projekteinführung zusammen: »Das implementierte Portfoliomodell sorgt für mehr Transparenz bei den täglichen Aufgaben. Durch die klare Festlegung von Abläufen, Zuständigkeiten und Modellen werden mit dem Vertriebs-EDM die Vertriebstätigkeit, die Beschaffungsaktivität und die dazugehörigen (Marktpreis-) Risiken systematisch gemanagt.«
Grundkonzept
Außer der technischen Konfiguration im Energiedatenmanagement – etwa Schnittstellen zu externen Systemen – mussten die Methoden und Schnittstellen zwischen Vertriebs- und Beschaffungsprozessen innerhalb des EDM-Systems abgebildet werden. Die Schnittstelle zwischen Vertrieb und Beschaffung musste dabei abhängig von der Beschaffungsstrategie für das jeweilige Kundensegment gestaltet werden. Darüber hinaus mussten die individuellen Energiebezugsverträge konfiguriert werden. In der Konzeptionsphase wurde ein umfassendes Portfoliomodell erarbeitet, das der Umsetzung zugrunde liegt (Abb.1).
Für die Anwendbarkeit dieses Portfoliomodells ist es sehr wichtig, dass die Preis- und Mengenschnittstelle zwischen der Beschaffungs- und Vertriebseinheit eindeutig und dauerhaft geregelt ist. Dann lassen sich Prozessschritte, die unmittelbar aufeinander folgen, automatisiert durch die Software durchführen. Die Geschäftsvorgänge finden in der Folge prozesssicher und mit höchstmöglicher Automatisierung statt.
Auf der technischen Seite fiel die Entscheidung für eine gemeinsame Systeminstallation in einem zentralen Rechenzentrum, um die gewünschten Synergieeffekte beim Aufbau des EDM und später im Betrieb zu nutzen. Die Potenziale für Kosteneinsparungen liegen bei der Lizenzierung, der Hardwareausstattung und der IT-Betreuung. Moderne Fernzugriffe auf das zentrale System führen zu keinen Komforteinbußen bei den Anwendern.
Projektvorgehen
In einer ersten Projektphase wurden die Anforderungen, die sich aus dem skizzierten Portfoliomodell ergeben, mit allen Stadtwerken erörtert und festgelegt. Damit war für den Auswahlprozess des Softwarelieferanten und für das anschließende Customizing zu Beginn des Projekts die Basis geschaffen. In dieser Projektphase wurden für die verschiedenen Aufgaben jeweils die erwarteten oder geforderten Ergebnisse definiert und somit eine prüffähige Grundlage für eine Vollständigkeitsanalyse und Systemabnahme gelegt:
· Welche Einkaufsstrategien werden angewendet oder sollen zur Verfügung stehen?
· Welche Datenströme im System müssen mengen- und preisseitig automatisiert werden?
· Welche Struktur im Portfoliomodell (Beschaffung und Vertrieb) ist einzurichten?
· In welchen Rollen arbeiten künftig die Anwender mit dem System?
· Welcher Beitrag für das betriebliche Berichtswesen soll erbracht werden?
Die zeitintensive Phase – wie bei vergleichbaren Projekten – besteht in der Einrichtung der Schnittstellen, vor allem zur Verbrauchsabrechnung. Mit der Durchführung erster Schnittstellentests wurde deutlich, welche Qualität bei den Vertriebsdatensätzen im Abrechnungssystem gegeben ist. In der Phase des Customizings wurden die Anforderungen der drei Stadtwerke weitgehend einheitlich umgesetzt, um damit die Betriebssynergien zu wahren.
»Das Erreichen definierter Zwischenergebnisse in den Projektphasen führte im Zusammenhang mit Monatsberichten zum Projektfortschritt zu einer umfänglichen Transparenz im Projekt«, urteilt Ingo Leufke, Leiter Energiebeschaffung und -vertrieb der Stadtwerke Lengerich GmbH – auch wenn der ursprüngliche Zeitplan für den Projektabschluss nicht eingehalten werden konnte.
Ziele erreicht
Mit der Inbetriebsetzung des EDM für die drei Stadtwerke kann die systematisierte Prozessbearbeitung der Vertriebs- und Beschaffungsprozesse stärker unterstützt werden. Eine höhere Prozesssicherheit und -transparenz sowie eine hieraus entstehende hohe Prozessqualität in der täglichen Arbeit konnten durch das Projekt erreicht werden. Das Berichtswesen stellt täglich Informationen automatisiert bereit, die eine optimale Steuerung der Vertriebs- und Beschaffungsaktivitäten ermöglichen. Die konkrete Abbildung täglicher Arbeitsroutinen sorgt für eine hohe Akzeptanz bei allen Anwendern.
Die Umsetzung des Gemeinschaftsprojekts hat sich bewährt. Die Stadtwerke agieren mit ähnlichen Produkten innerhalb des gleichen Wettbewerbsmarkts. Dabei sind effiziente Strukturen, die das stadtwerkeindividuelle Vorgehen im Kerngeschäft unterstützen, auch künftig sehr wichtig.
Norbert Thewes, Klaus Vischedyk, Daniel Knipprath
(Der Projektbericht ist auch erschienen in der Fachzeitschrift ew, Heft 9/15, S. 73-75)