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Energievertrieb und Preisbildung in der Grundversorgung – Stadtwerke sollten ihre Stärken ausspielen

Die letzten Monate haben es gezeigt: Die Stadtwerke waren und sind ein Garant der Daseinsvorsorge. Im Spannungsfeld multipler Krisen und einer geradezu dramatisch beschleunigten Energiewende stehen sie für verlässliches, stabiles Wirtschaften und den Mut, Veränderungen aktiv anzugehen. Von der Bundespolitik in die Rolle eines „Callcenters der Regierung“ gedrängt (so die Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des BDEW Kerstin Andreae), haben die Stadtwerke in einer gewaltigen Kraftanstrengung hochkomplexe Gesetzesvorgaben umgesetzt, Unsicherheiten abgefedert und mit ihren Produkten (insbesondere mit der Grundversorgung) die Kunden all jener Energiediscounter aufgefangen, die ihren Lieferpflichten nicht mehr nachkommen konnten und/oder Insolvenz anmelden mussten.

Abb.: Preisentwicklung Gas

Rückkehr in die Grundversorgung stellt besondere Herausforderung dar

Die Stadtwerke befinden sich hierbei in einer gefährlichen, durchaus existenzbedrohenden Zwickmühle. Überwiegend liegen die Preise der Grundversorgung nämlich auf einem Niveau, das sich über zwei bis drei Jahre maximal konservativer, vorausschauender Energiebeschaffung eingestellt hat. Alle kurzfristigen Preisausschläge haben damit nur einen verhältnismäßig geringen Einfluss auf die Preisbildung. Verstärkt wird dieses wirtschaftliche Dilemma noch dadurch, dass viele Kunden wieder auf die Angebote der Grundversorgung eingestiegen sind, z. B. im Dezember 2021 – also noch vor Ausbruch des Ukrainekrieges – bei der ersten Insolvenzwelle von Lieferanten oder zum Jahreswechsel 2022/2023, als es keine oder kaum Angebote von weiteren Energielieferanten gab.

Für die Endkunden ist dies natürlich nur vorteilhaft: Sie profitieren von einer garantierten Versorgung zu moderaten Preisen. Für die Stadtwerke jedoch ergeben sich große Herausforderungen, den ungeplanten Mengenzuwachs erfolgreich zu managen. Hinzu kommt der wachsende Erwartungsdruck an die etablierte Versorgungswirtschaft, den gesellschaftlichen Zusammenhalt auch weiterhin zu stärken und soziale Spannungen bestmöglich abzufedern (siehe Themenlandkarte Vertrieb).

Der Gesetzgeber hat all das erkannt und u. a. mit der Neuregelung der Preise für die sog. „Ersatzversorgung“ reagiert. In Kraft getreten sind diese Vorgaben allerdings erst zum 1. November 2022. Eine Überprüfung der gesplitteten Preise für Neukunden findet derzeit z. B. in Nordrhein-Westfalen statt, was angesichts der Optimierung der Lieferanten durch Einstellung der Belieferung durchaus für Verwunderung sorgt.

In der Preisbildung ist ein Kipp-Punkt erreicht

Noch im Januar letzten Jahres wollte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck die Rückkehr der Billiganbieter mit allen Mitteln verhindern. Nun scheint sich der Markt wieder zu drehen und einen neuen Überbietungswettbewerb zu entfachen. Erste Vorboten für ein Comeback der Energiediscounter zeigten sich bereits kurzfristig, als die Energiepreisbremsen noch im Gesetzgebungsverfahren waren. Angebote, die mit Bonusbeträgen über mehrere Hundert Euro konzipiert waren, deuteten damals schon darauf hin, dass der Wettbewerb wieder startet – mit manchmal fragwürdigen Preismodellen. Auch wenn der Gesetzgeber mit der Deckelung der Bonusbeträge in Energieverträgen diese Angebotsvarianten für die Geltungsdauer der Energiepreisbremsen verboten hat, befinden sich viele Stadtwerke an einem entscheidenden Kipp-Punkt für ihre eigene Preispolitik.

Die Energiepreisbremsen haben zu einer deutlichen Vereinheitlichung der Preise für die Endkunden geführt. Bei allen Preisen oberhalb der Referenzpreise sind 80 % der Energiemengen einheitlich, wobei es für die Kunden ohnehin kaum nachvollziehbar ist, welche Preise nun zu vergleichen sind. Für die vertriebliche Arbeit hat der zügige Preisverfall ab Spätsommer 2022 (siehe Abb.) kaum eine Rolle gespielt, weil die mittelfristigen Beschaffungsstrategien gegenüber dem Marktpreis deutlich vorteilhaft dastanden.

Weitere Kursverluste sind für die Stadtwerke jedoch kritisch, da diese auch von Energiediscountern zum erneuten Markteinstieg genutzt werden können. Die Schwelle, an der die überwiegende Anzahl der Beschaffungsmodelle für die Grundversorgung zum Nachteil von kurzfristigen Beschaffungs- und Vertriebsmodellen kippt, ist leider vielerorts erreicht. Einige Kommunen warnten bereits im August 2022 davor, dass ihre Stadtwerke in eine existentielle Schieflage geraten könnten, die auch die anderen Leistungen der Daseinsvorsorge dramatisch mitreißen würden.

Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur, hatte daher im März 2023 Recht mit seiner Erläuterung, dass es noch sechs bis zwölf Monate dauern wird, bis die sinkenden Großhandelspreise für Strom und Gas bei den Verbrauchern ankommen. Das läge an der Laufzeit der Verträge und an der Einkaufsstrategie der Unternehmen, so Müller. Fakt ist, dass viele Grundversorger ihre Preise in der Vergangenheit nicht so stark angehoben haben. Eine Angleichung an das derzeitige Preisniveau ist daher für die nächsten Monate oder spätestens zum Jahresbeginn 2024 zu erwarten und führt mancherorts auch zu Preissteigerungen. Vor diesem Hintergrund ist es auf politischer Ebene nicht verantwortlich, unter den aktuellen Bedingungen bereits flächendeckend Preissenkungen anzukündigen. Auch das gehört zu einer realistischen und ehrlichen Kommunikation dazu.

Keep calm and carry on: Ruhig agieren und sich auf die eigenen Stärken fokussieren

Für die Bundespolitik und die kommunalen Versorger geht es in den nächsten Monaten und Jahren um nichts weniger, als das energiepolitische Zieldreieck aus Wirtschaftlichkeit, Umweltverträglichkeit und Versorgungssicherheit wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Dafür gilt es, schon heute verantwortungsvoll und vorausschauend zu handeln. Doch welche Möglichkeiten ergeben sich für den Grundversorger, diesem Dilemma starker Preisschwankungen mit unkalkulierbaren Marktaustritten und einem turbulenten Wettbewerb zu begegnen?

Zum einen ist es angeraten, kurzfristiger zu agieren und die Grundversorgung näher am Großhandelspreis anzulehnen. Das bedeutet aber auch, sich auf regelmäßige Preisanpassungen einzustellen, was in der Praxis eine große Herausforderung darstellt und besondere Fachkompetenzen erfordert. Wenn ein Stadtwerk die gegenwärtigen disruptiven Veränderungen allerdings mutig als Chance versteht und es ihm gelingt, die Preise schnell und flexibel an den Großhandelspreisen zu orientieren, ist es auch weiterhin sinnvoll, in einem Netzgebiet die Rolle des Grundversorgers zu übernehmen. 

Zum anderen gilt der bewährte Grundsatz „Keep calm and carry on“. Angesichts der hohen Marktdynamik werden nicht immer für alle Preisentwicklungen die günstigsten Marktpreise angeboten werden können. Das wäre aber auch ein falsches Verständnis der Grundversorgung. Stadtwerke sind insofern gut beraten, wenn sie auch in diesen chaotischen Zeiten ruhig agieren, sich fokussieren und ihre Stärken bewusst ausspielen: Zuverlässigkeit, Nachhaltigkeit, regionale Verankerung und eine enge, langjährige Kundenbindung, die auch auf kultureller, sportlicher und sozialer Ebene spürbar ist. Dieses Alleinstellungsmerkmal ist nicht hoch genug einzuschätzen und sollte den Kunden auch in der Unternehmenskommunikation authentisch und glaubwürdig vermittelt werden.

Die Stadtwerke haben bewiesen, dass sie selbst in Zeiten multipler Krisen nah an ihren Kunden sind und eine verantwortungsbewusste Preispolitik umsetzen können. Das gilt auch in der Grundversorgung.

Ansprechpartner für Prozesse im Energievertrieb der emb sind Norbert Thewes und Daniel Knipprath.

Pressekontakt
Dr. Schäfer PR- und Strategieberatung
Dr. Anke Schäfer
Arno-Esch-Str. 1
18055 Rostock
Telefon: +49 381 666 58 58
E-Mail: info[at]dr-schaefer-pr.de

(Der Bericht ist auch erschienen in der Print- und Onlineausgabe 6-2023 der "et -ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN".)