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Strategisches Portfoliomanagement als Erfolgsfaktor

Auf die Strategie kommt es an. Das gilt umso mehr in Zeiten, in denen die Marktentwicklung eine neue Positionierung im Bereich Beschaffung und Vertrieb erfordert. Dass Stadtwerke gestärkt aus den multiplen Krisen der vergangenen Monate hervorgegangen sind, ist nicht zuletzt ihrer Fähigkeit zu verdanken, Veränderungen engagiert anzugehen und Marktrisiken aktiv zu steuern. Ein strukturiertes, systematisches Portfolio- und Beschaffungsmanagement ist ein zentraler Baustein, um die hochkomplexen Herausforderungen volatiler Energiemärkte ganzheitlich zu betrachten. Die Zukunft zu gestalten, heißt daher auch, sich neuen Risiko-, Steuerungs- und Optimierungsstrategien zu öffnen.

Abb.: Übersicht Beschaffungs- und Vertriebsrisiken

Häufig wurden auf dem Höhepunkt der Energiekrise klassische Energiebezugsverträge mit hohen Aufschlägen versehen. Infolgedessen müssen viele Stadtwerke erhebliche Risiken selbst tragen, da Toleranzen sehr gering ausfallen oder oft gar nicht erst angeboten werden. Ein Ausweg aus diesem Dilemma kann die Umstellung von Beschaffung und Vertrieb auf ein reines Portfoliomanagement sein. Erfolgreich ist das nur dann, wenn alle Rahmenbedingungen beziehungsweise alle Spielregeln an die neuen Anforderungen angepasst werden. Das betrifft sowohl die strategische Ausrichtung und die organisatorische Implementierung als auch eine systematische Adaption der Prozesse, die Ertüchtigung der IT-Systeme sowie den Aufbau eines adäquaten Berichtswesens. Hier ist also im wahrsten Sinne des Wortes Rundumsicht gefragt.    

Ganzheitliches Modell zur Optimierung der Beschaffungsstrategie

Ein ganzheitliches Vorgehensmodell zur Optimierung der Beschaffungsstrategie umfasst die im Folgenden dargestellten Schritte:

Festlegung der Rahmenbedingungen

Ziel ist die Entwicklung und/oder Anpassung des Risikohandbuches, das die Risikostrategie des Unternehmens festlegt und deren Umsetzung in der operativen Bewirtschaftung in Beschaffung und Vertrieb sicherstellt.

Dafür bedarf es zunächst grundlegender Festlegungen zum Risiko- und Liquiditätsmanagement, der Etablierung einer geeigneten Portfoliostruktur mit einer klaren Kompetenzabgrenzung von Beschaffung und Vertrieb, einer präzisen Definition der Verbuchungsregeln, der Festlegung von Steuerungskennzahlen, Limits und Beschaffungsstrategien für einzelne Kundensegmente, einer Risikokapitallokation, der Freigabe von Produkten, Märkten und Handelspartnern sowie weiterer Schlüsselfaktoren. Hierzu gehören auch alle erforderlichen organisatorischen und prozessualen Maßnahmen. Voraussetzung ist, dass die einzelnen Verantwortlichkeiten und Aufgaben klar definiert und voneinander abgegrenzt sind und ihr Zusammenspiel regelbasiert gestaltet wird.

Die Entscheider*innen sollten sich frühzeitig darüber im Klaren sein, welche Wertschöpfungsstufen durch das Stadtwerk selbst bewirtschaftet werden sollen und welche durch Dienstleister abgedeckt werden können. Die Festlegung dieser Leitplanken hat sowohl personelle als auch prozessuale Implikationen, vor allem in Bezug auf den kosten- und zeitintensiven Spothandel und das Bilanzkreismanagement. 

Anpassung der IT-Systeme und Aufbau des Berichtswesens

Zu berücksichtigen sind die Software zur Bepreisung von Kundenlastgängen (einschließlich der Implementierung von Transferpreisen, Risikoaufschlägen und Mindestmargen) sowie Werkzeuge zur Zerlegung von Kundenlastgängen in Standardprodukte unter Berücksichtigung der Risikostrategie. Im Portfoliomanagementsystem sind die festgelegte Buchstruktur, Verbuchungsregeln und Kennzahlen zur Risikosteuerung zu hinterlegen. Das Berichtswesen sollte auf Basis der im Portfoliomanagementsystem hinterlegten Daten automatisiert erfolgen und in einem täglichen Zyklus bereitgestellt werden. Die wesentlichen Steuerungsgrößen und Risikokennzahlen müssen dabei gut strukturiert dargestellt werden.

Umsetzung der Terminbeschaffung

In eine kontinuierlich zu erstellende Absatzprognose der betreffenden Portfoliobücher sollten stets die neuesten Erkenntnisse über Kundenzugänge und -abgänge sowie gegebenenfalls auch über ein verändertes Abnahmeverhalten einfließen. Während Sondervertrags- und Back-to-Back-Kunden erst mit Vertragsabschluss im Portfolio angelegt werden, ist die Energiebeschaffung für Tarifkunden, deren Energiepreise auf Basis von Beschaffungskosten kalkuliert werden, über einen definierten Beschaffungspfad – meist über einige Jahre hinweg – zu organisieren. Gegebenenfalls sind bedarfsgerecht weitere Absicherungsmethoden anzuwenden, die gegenüber künftigen Preisschwankungen eine höhere Preisstabilität des Portfolios sicherstellen.

Spotbeschaffung

Nicht selten empfiehlt sich hier eine Verdienstleistung. Dennoch muss die Fähigkeit, steuernd in den Handel einzugreifen, unbedingt beim Stadtwerk bleiben. Nur so wird die Gefahr einer Ergebnisverschlechterung vermindert. Die zu verwendenden Steuerungslimits sollten sowohl das Volumen der offenen Positionen begrenzen als auch die Verlustobergrenze definieren. Das Risikokapital zur Deckung von Risiken im Lieferjahr muss in der Kalkulation der Vertriebspreise berücksichtigt werden. Hierbei ist zu beachten, dass ein angemessenes Sicherheitsniveau erreicht wird. Sollte das bereitgestellte Risikokapital zu gering bemessen und vollständig verzehrt worden sein, kann es notwendig sein, Preisanpassungen durchzuführen, damit das geplante Ergebnis nicht verfehlt wird.

Für eine hohe Prognosegüte müssen stets die neuesten Erkenntnisse über die Absatzmengen unmittelbar in die kurz- und mittelfristigen Absatzprognosen einfließen. Das erfordert einen sehr hohen Automatisierungsgrad.

Schlüssel zum Erfolg ist eine kontinuierliche, risikobewusste Kommunikation zwischen Stadtwerk und Dienstleister. Mindestens einmal im Monat sollten die Ausrichtung des Portfolios hinterfragt und Preislimits gegebenenfalls angepasst werden. Genauso wichtig ist es, dass immer auch spontane Abstimmungen möglich sind, um auf unvorhergesehene Vorfälle zeitnah reagieren zu können.

Stadtwerke sollten ein Eigeninteresse daran haben, ihre aktuelle Portfoliosituation selbstkritisch zu bewerten und aktiv Veränderungen anzuschieben. Diese strategische Voraussicht zahlt sich auch im Weiteren im Rahmen der Preisgestaltung aus.

Ein unabhängiges Beratungshaus wie emb kann hier neue Perspektiven einbringen. Gemeinsam werden interne Abläufe und Verantwortlichkeiten hinterfragt, das Zusammenspiel zwischen Energiebeschaffung und Vertrieb selbstkritisch auf den Prüfstand gestellt und Verbesserungspotenziale entdeckt.

Im Mittelpunkt steht dabei eine Frage: Sind alle Grundlagen im strategischen und operativen Risikomanagement so gelegt, dass einer erfolgreichen Umsetzung im Alltag nichts mehr entgegensteht? Verbindliche Zielbilder sowie darauf aufbauende, klar definierte Prozesse, Verantwortlichkeiten, Rollen, Funktionen und Qualifikationen sind dafür eine unverzichtbare Voraussetzung. Dieses Know-how im Unternehmen auf- und auszubauen, stärkt auch den Rücken im operativen Tagesgeschäft.

Individuelle Lösungen zur aktiven Steuerung immanenter Marktrisiken

Die Einführung eines zukunftsstarken Portfoliomanagements umfasst die folgenden Aspekte:

Spotbewirtschaftung: Wie bereits dargestellt, muss zunächst die – zentrale – Entscheidung getroffen werden, ob die unterjährige Bewirtschaftung in Eigenregie oder durch einen Dienstleister durchgeführt werden soll.   

Da die Anforderungen zur Bewirtschaftung des Portfolios am Spotmarkt sehr hoch sind, ist es in den meisten Fällen sinnvoll, diese Tätigkeiten – auch das Bilanzkreismanagement – zu verdienstleisten. Damit werden Aufgaben zur Bewirtschaftung des Portfolios und des Bilanzkreises gegen Zahlung eines adäquaten Entgelts durch einen Dienstleister erfüllt; die ökonomischen Auswirkungen trägt der Auftraggeber. Für ein solches Vorgehen sprechen die komplexen Rahmenbedingungen der Spotbeschaffung (zum Beispiel 24/7-Verfügbarkeit und Akkreditierung an den Börsen).

Risikoaufschläge: Zur Ermittlung von adäquaten Risikoaufschlägen bedarf es des Aufbaus eines umfassenden Methodenwissens, wie diese Aufschläge marktnah zu ermitteln sind. Nur so kann das angestrebte Sicherheitsniveau erreicht werden. Dafür sind eine kontinuierliche Überprüfung und die Anpassung dieser Aufschläge obligatorisch. Vor allem ist zu beachten, dass hierbei sämtliche Risiken aus Termin- und Spotbeschaffung sowie darüber hinaus auch potentielle Kosten aus der Mehr-/Mindermengenabrechnung berücksichtigt werden.

Absatzprognose: Für die angestrebte hohe Prognosegüte müssen die IT-Systeme ertüchtigt oder neu eingeführt werden. Hierzu sollten Mitarbeiter*innen befähigt und Methodenwissen aufgebaut werden. Bei Bedarf kann zur Überbrückung auf vollintegrierte Werkzeuge zurückgegriffen werden. Oft bieten Portfoliomanagementdienstleister an, die Prognoseerstellung zu übernehmen. Die Stadtwerke müssen aber selbst in der Lage sein, eine Prognose in hinreichender Güte zu erstellen, da die Mengenrisiken erheblich sind. Zudem sollten die Prozesse einen hohen Automatisierungsgrad aufweisen und schnell Ergebnisse liefern.

Berichtswesen: Hierzu gehören Themen wie die Umsetzung des Terminbeschaffungsreportings in den Vorjahren, Steuerungsbedarfe im unterjährigen Reporting, die Messung der Auslastungsgrade/des Verzehrs der Risikoaufschläge, die tägliche Prognoseanpassung, eine zeitnahe Aufnahme aktueller Ist-Werte sowie die tägliche Bereitstellung und Kommunikation der Berichte, um die Steuerungsfähigkeit zu gewährleisten.

Grundsätzlich sollte bei allen Prozessen ein hoher Automatisierungsgrad angestrebt werden, da diese oft – meist täglich – anfallen. In vielen Fällen bietet sich eine Kombination aus der Beauftragung eines Dienstleisters (Glattstellung von Handelspositionen und des Bilanzkreismanagements) und dem Aufbau von Methodenwissen sowie der Umsetzung kritischer, risikobehafteter Tätigkeiten durch das Stadtwerk an. Eine solche Kompetenzverteilung ermöglicht eine verantwortungsvolle und effiziente Portfoliobewirtschaftung. Da die unterjährigen Risiken vollständig durch das Stadtwerk getragen werden, sind die Anforderungen herausfordernd.

Erstanalyse Energiebeschaffung für interessierte EVU

Für eine umfassende Erstanalyse und Bestandsaufnahme hat emb rund 30 relevante Themenfelder identifiziert, die in einem Vor-Ort-Gespräch mit den Verantwortlichen in Beschaffung, Vertrieb und dem Risikomanagement diskutiert werden. Energieversorger erhalten dadurch eine ganzheitliche Bewertung ihrer Regelungen und Prozesse in der Energiebeschaffung. Darauf aufbauend haben sie die Möglichkeit, risikominimierende Verbesserungen zu initiieren.

Ansprechpartner für Energiehandel und -vertrieb ist Martin Wurm.

Pressekontakt
Dr. Schäfer PR- und Strategieberatung
Dr. Anke Schäfer
Arno-Esch-Str. 1
18055 Rostock
Telefon: +49 381 666 58 58
E-Mail: info[at]dr-schaefer-pr.de

(Der Bericht ist auch erschienen in der Printausgabe 12/2023 der ew - Magazin für die Energiewirtschaft.)