Fachartikel

Wie Stadtwerke Marktrisiken aktiv steuern können

Von einem systematischen Portfoliomanagement bis hin zu einer dynamischen Preisbildung

Die letzten Monate waren ein Stresstest für die deutsche Stadtwerkelandschaft. In einer gewaltigen Kraftanstrengung waren die regionalen Energieversorger gezwungen, hochkomplexe Gesetzesvorgaben umzusetzen, Unsicherheiten abzufedern und in der Grundversorgung die Kund*innen all jener Energiediscounter aufzufangen, die ihren Lieferpflichten nicht mehr nachkommen konnten und / oder Insolvenz anmelden mussten. Zugleich stellten und stellen die gewaltigen Herausforderungen multipler Energiekrisen und einer beschleunigten Energiewende die Stadtwerke vor gänzlich neue Aufgaben: Sie müssen nicht nur ihre eigene wirtschaftliche Stabilität sichern, sondern auch weiterhin für ihre Region ein Garant der Daseinsvorsorge sein. All das erfordert nicht nur den Mut, Veränderungen engagiert anzugehen, sondern auch die Fähigkeit, Marktrisiken aktiv zu steuern. Die Stadtwerke sind dabei gut beraten, die anstehenden hochkomplexen Themen ganzheitlich zu betrachten und umzusetzen. Das beginnt bei einem systematischen Portfoliomanagement und endet bei einem empathischen Kundenbeziehungsmanagement und einer dynamischen Preisgestaltung, die sich kontinuierlich, schnell und flexibel den aktuellen Marktbedingungen anpasst. 

Ganzheitliches Modell zur Optimierung der Beschaffungsstrategie

Gerade die dramatischen Preisentwicklungen im letzten Jahr haben gezeigt, dass sich Stadtwerke neuen Risiko-, Steuerungs- und Optimierungsthemen öffnen müssen, um weiterhin in Beschaffung und Vertrieb erfolgreich positioniert zu sein. Durch die Etablierung eines leistungsstarken Portfoliomanagements kann eine kosteneffiziente und wettbewerbsfähige Energieversorgung auch zukünftig sichergestellt werden. Ein ganzheitliches Vorgehensmodell zur Optimierung der Beschaffungsstrategie umfasst daher die nachfolgenden Schritte:

1. Festlegung der Rahmenbedingungen

Hierzu gehören grundsätzliche Festlegungen zum Risiko- und Liquiditätsmanagement, zur Bedarfsplanung und Portfoliostruktur, zu Bewirtschaftungszeiträumen, zu Freigaben von Produkten, Märkten und Handelspartnern, zu Kundensegmenten, Volumen- und Preislimits, Risikoaufschlägen, Beschaffungsstrategien, Steuerungskennzahlen, dem Berichtswesen und weiteren Schlüsselfaktoren sowie zu den erforderlichen organisatorischen und prozessualen Maßnahmen. Dabei ist es unerlässlich, dass die einzelnen Verantwortlichkeiten und Aufgaben klar definiert und voneinander abgegrenzt sind und ihr Zusammenspiel regelbasiert gestaltet wird.

Vor der operativen Umsetzung der Beschaffung sollte eine Entscheidung darüber getroffen werden, welche Wertschöpfungsstufen durch das Stadtwerk bewirtschaftet und welche verdienstleistet werden sollen. Insbesondere in Hinblick auf den kurzfristigen Handel und das Bilanzkreismanagement ist diese Frage zu beantworten, da der personelle Aufwand und die Anforderungen an interne Prozesse und IT-Systeme durchaus hoch sind.

2. Anpassung der IT-Systeme und Aufbau des Berichtswesens

Dies gilt insbesondere für die Software zur Bepreisung von Kundenlastgängen inklusive der Implementierung von Transferpreisen, Risikoaufschlägen und Mindestmargen sowie Werkzeugen zur Zerlegung von Kundenlastgängen in Standardprodukte unter Berücksichtigung der Risikostrategie. Ebenso müssen im Portfoliomanagementsystem die festgelegte Buchstruktur, Verbuchungsregeln und Kennzahlen zur Risikosteuerung hinterlegt werden. Das Berichtswesen sollte auf Basis der im Portfoliomanagementsystem hinterlegten Daten automatisiert erfolgen und in einem täglichen Zyklus bereitgestellt werden, wobei die wesentlichen Steuerungsgrößen und Risikokennzahlen darin gut strukturiert abzubilden sind.

3. Umsetzung der Terminbeschaffung

Hier ist zu beachten, dass neueste Erkenntnisse über Kundenzugänge und -abgänge sowie ein verändertes Abnahmeverhalten in eine kontinuierlich zu erstellende Absatzprognose der betreffenden Portfoliobücher einfließen. Während Sondervertrags- und Back-to-Back-Kunden erst mit Vertragsabschluss im Portfolio angelegt werden, ist die Energiebeschaffung für Tarifkunden, deren Energiepreise auf Basis von Beschaffungskosten kalkuliert werden, über einen definierten Beschaffungspfad – meist über einige Jahre hinweg – zu organisieren. Gegebenenfalls sind bedarfsgerecht weitere Absicherungsmethoden anzuwenden, die gegenüber zukünftigen Preisschwankungen eine höhere Preisstabilität des Portfolios sicherstellen.

4. Spotbeschaffung

Da die Anforderungen zur Bewirtschaftung des Portfolios am Spotmarkt sehr hoch sind, ist es in den meisten Fällen sinnvoll, diese Tätigkeiten – auch das Bilanzkreismanagement – zu verdienstleisten. Damit werden Aufgaben zur Bewirtschaftung des Portfolios und des Bilanzkreises gegen Zahlung eines adäquaten Entgeltes durch einen Dienstleister erfüllt; die ökonomischen Auswirkungen trägt der Auftraggeber. Für ein solches Vorgehen sprechen die komplexen Rahmenbedingungen der Spotbeschaffung (z. B. 24/7-Verfügbarkeit und Akkreditierung an den Börsen).

Auch bei einer Verdienstleistung des kurzfristigen Handels muss die Fähigkeit, steuernd in den Handel einzugreifen, beim Stadtwerk verbleiben, um die Gefahr einer Ergebnisverschlechterung zu mindern. Die zu verwendenden Steuerungslimits sollten sowohl das Volumen der offenen Positionen begrenzen als auch die Verlustobergrenze definieren. Das Risikokapital zur Deckung von Risiken im Lieferjahr muss in der Kalkulation der Vertriebspreise berücksichtigt werden. Hierbei sollte man darauf achten, dass ein angemessenes Sicherheitsniveau erreicht wird. Sollte das bereitgestellte Risikokapital zu gering bemessen und vollständig verzehrt worden sein, ist es notwendig, Preisanpassungen durchzuführen, damit das geplante Ergebnis nicht verfehlt wird.

Um die Prognosegüte zu steigern, ist es wichtig, dass neueste Erkenntnisse über die Absatzmengen unmittelbar in die kurz- und mittelfristigen Absatzprognosen einfließen. Hier sind die täglichen Prozesse so zu gestalten, dass sie einen sehr hohen Automatisierungsgrad aufweisen und ein schnelles Ergebnis liefern.

Die Kommunikation zwischen Stadtwerk und Dienstleister zum mittelfristigen Vorgehen sollte turnusmäßig mindestens einmal im Monat erfolgen. Dazu gehört, dass Limits gegebenenfalls angepasst, die Ausrichtung des Portfolios festgelegt und Preislimits definiert werden. Genauso wichtig ist es, dass spontane Abstimmungen durch den Dienstleistungsvertrag gewährleistet sind, um auf unvorhergesehene Vorfälle zeitnah reagieren zu können.

Stadtwerke sollten im eigenen Interesse jederzeit ihre aktuelle Portfoliosituation bewerten können und in der Lage sein, aktiv Umsetzungen durch den Dienstleister zu veranlassen. Diese strategische Voraussicht zahlt sich auch im Weiteren im Rahmen der Preisgestaltung aus.

Auch bei der Preisbildung auf die eigenen Stärken fokussieren

Die Rückkehr vieler Kund*innen in die Grundversorgung stellt regionale Energieversorger gegenwärtig vor die große Herausforderung, den ungeplanten Mengenzuwachs erfolgreich zu managen. Vor dem Hintergrund eines neu entfachten Überbietungswettbewerbs befinden sich viele Stadtwerke dabei an einem entscheidenden Kipp-Punkt für ihre eigene Preispolitik. Eine entscheidende Rolle spielen hier die vom Gesetzgeber als Leitplanken eingezogenen Energiepreisbremsen, die zu einer deutlichen Vereinheitlichung der Preise für die Endkund*innen geführt haben. Angesichts der nunmehr jedoch wieder drastisch gesunkenen Großhandelspreise sind weitere Kursverluste jedoch kritisch für die Stadtwerke, da diese auch von Energiediscountern zum erneuten Markteinstieg genutzt werden können. Die Schwelle, an der die überwiegende Anzahl der Beschaffungsmodelle für die Grundversorgung zum Nachteil von kurzfristigen Beschaffungs- und Vertriebsmodellen kippt, ist leider vielerorts erreicht. Einige Kommunen warnten bereits im August 2022 davor, dass ihre Stadtwerke in eine existentielle Schieflage geraten könnten, die auch die anderen Leistungen der Daseinsvorsorge dramatisch mitreißen würden.

Für Bundespolitik und kommunale Versorger geht es in den nächsten Monaten und Jahren um nichts Geringeres, als das energiepolitische Zieldreieck aus Wirtschaftlichkeit, Umweltverträglichkeit und Versorgungssicherheit wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Dafür gilt es schon heute verantwortungsvoll und vorausschauend zu handeln.

Stadtwerke, die die aktuellen disruptiven Veränderungen mutig als Chance verstehen und auch weiterhin in ihrem Netzgebiet die Rolle des Grundversorgers übernehmen wollen, sind gut beraten, intern Fachexpertise aufzubauen und ihre Preisgestaltung der hohen Marktdynamik anzupassen. Alle weniger Risikofreudigen sollten auch in diesen chaotischen Zeiten besonnen agieren, sich fokussieren und ihre Stärken bewusst ausspielen. Die Stadtwerke haben erfolgreich bewiesen, dass sie auch unter Stresstest-Bedingungen verlässlich Kurs halten. Wie kein anderes Unternehmen stehen sie für wirtschaftliche Stabilität, Nachhaltigkeit, regionales Engagement und enge, belastbare Kundenbeziehungen. Dieses Alleinstellungsmerkmal sollte nicht nur in der Unternehmenskommunikation authentisch und glaubwürdig vermittelt werden, sondern auch Grundlage einer verantwortungsbewussten Preispolitik bleiben. Mit ihrem ganzheitlichen Vorgehensmodell unterstützt die emb Stadtwerke und andere regionale Energieversorger bei allen strategischen, aufbau- und ablauforganisatorischen Fragestellungen.

Ansprechpartner für Energiehandel und -vertrieb sind Norbert ThewesDaniel Knipprath und Martin Wurm.

Pressekontakt
Dr. Schäfer PR- und Strategieberatung
Dr. Anke Schäfer
Arno-Esch-Str. 1
18055 Rostock
Telefon: +49 381 666 58 58
E-Mail: info[at]dr-schaefer-pr.de

(Der Bericht ist auch erschienen in der Printausgabe 7/8 2023 der stadt+werk am 13.07.2023)